Musikerziehung in Großbritannien I. Politische Rahmenbedingungen IV. Fachliche Vorgaben und Curricula V. Kritischer Kommentar und Ausblick I. Politische RahmenbedingungenDas Vereinigte Königreich Großbritannien setzt sich aus vier Nationen zusammen, und obwohl sie alle von einem gemeinsamen Parlament (mit Sitz in London) regiert werden, haben Schottland, Wales und Nordirland auch eigenständige Verwaltungssysteme (Schottland hat ein eigenes Parlament und Wales und Nordirland haben ihre Versammlungen), die einen gewissen Grad an Unabhängigkeit von London genießen. Bildung (neben anderen Dienstleistungen wie zum Beispiel dem Gesundheitswesen) wird weitgehend von dezentralisierten oder halbautonomen Bildungsbehörden in diesen 3 Ländern verwaltet. In England selbst ist der Bereich Bildung der Regierung in London unterstellt. Die Regierung finanziert die Schulen Englands über gewählte örtliche Behörden. Diese Behörden geben die bewilligten Gelder fast zur Gänze an die von ihnen unterhaltenen Schulen weiter und behalten nur einen relativ kleinen Anteil für zentralisierte Dienstleistungen zurück, wie zum Beispiel für Fördermaßnahmen oder für den Transport zur Schule. Schulen sind also relativ unabhängig bei der Bestellung von Lehrern und bei der Verwendung der bereitgestellten Mittel. In England haben Sekundarschulen die Möglichkeit, sich auf bestimmte Bereiche des Curriculums zu „spezialisieren“, und über 600 von ihnen nutzen die Möglichkeit und legen ihren Schwerpunkt auf Kunst und Musik. (Die folgende Webseite bietet weitere Informationen. Ein Inspektionssystem ermöglicht die Kontrolle über den gesamten Bildungsbereich in England. Jede Schule wird in regelmäßigen Abständen (alle 3-6 Jahre) inspiziert, und der Bericht wird veröffentlicht. Weitere Informationen finden Sie hier. In Stadtgebieten herrscht ein Konkurrenzdruck zwischen den Schulen und solche Berichte und die Prüfungsergebnisse der Schulen (die ebenfalls veröffentlicht werden) können den Erfolg und die Beliebtheit einer Schule gravierend beeinflussen. Das gilt sowohl für Primar- als auch für Sekundarschulen. Obwohl die politische Zielsetzung in den meisten Teilen des Königreichs in Richtung Gesamtschule geht (alle Begabungen werden im gleichen Schultyp zusammengefasst), werden mancherorts noch immer Kinder mit 11 Jahren speziell ausgewählt, und der private Sektor erfreut sich besonders in Großstädten großer Beliebtheit. Der Gesamtschulgedanke wird also nicht lückenlos in die Praxis umgesetzt. In Schottland unterliegt das Bildungswesen dem Schottischen Parlament in Edinburgh. In Wales ist der Bereich Bildung der Walisischen Versammlung in Cardiff unterstellt. In Nordirland unterliegt der Bereich Bildung der Nordirland-Versammlung in Belfast. II. Aufbau des SchulsystemsObwohl es lokale Abweichungen gibt, liegt den Schulen in allen vier Ländern im Wesentlichen folgende Struktur mit den jeweiligen Altersstufen zugrunde: · Vorschulen 3-5 (oft angegliedert an Primarschulen), · Primarschulen 5-11, · Mittelschulen (dieser Schultyp überbrückt die Zeit nach der Primarschule und vor dem Eintritt in die Sekundarschule, wobei die Altersstufe variieren kann), · Sekundarschule 11-16 (bzw. 18) und · Tertiärschulen 16-19. Die Schüler können die Schule bis 18 Jahre weiter besuchen oder mit 16 von der Schule abgehen und eine weiterbildende höhere Schule besuchen. III. MusikunterrichtDas nationale Curriculum für England enthält Musikunterricht als gesetzlich verankerten Anspruch für alle Kinder von 5-14. Von 14 Jahren aufwärts können sich Schüler auf die mittlere Reife (GSCE) vorbereiten und von 16 aufwärts können sie aus einem Kursangebot wählen, das zur Studienberechtigungsprüfung führen kann. In Wales und Nordirland kommt dem Curriculum der gleiche Stellenwert zu wie in England, die Inhalte können jedoch abweichen. In Schottland wird das Curriculum als Orientierungshilfe verwendet, und Musik ist ein Teil der kunst- und ausdrucksorientierten Bildung. IV. Fachliche Vorgaben und CurriculaEnglandFür jedes Fach im Curriculum gibt es eine Darlegung der Wichtigkeit: „Musik ist eine einzigartige und mitreißende Form der Kommunikation, die die Gefühlswelt, die Gedankenwelt und das Handeln der Schüler verändern kann. Sie vereint Intellekt und Gefühl und ermöglicht persönlichen Ausdruck, Reflexion und emotionale Entwicklung. Sie stellt einen integralen Teil der Kultur einst und jetzt dar und hilft Schülern, sich selbst besser zu verstehen und auf andere zuzugehen. Damit kommt ihr eine wichtige Vermittlerrolle zwischen dem Zuhause, der Schule und der weiten Welt zu. Der Musikunterricht entwickelt die Fähigkeit des Schülers, verschiedenste Arten von Musik aufnehmen und verstehen zu können und die Qualität des Gehörten beurteilen zu können. Er ermutigt zum aktiven Mitgestalten bei verschiedenen Arten von Amateurmusik, sowohl solistisch als auch beim gemeinsamen Musizieren, stärkt somit den Gemeinschaftssinn und fördert die Zusammengehörigkeit in der Gruppe. Weiters fördert er Selbstdisziplin und Kreativität, ästhetisches Feingefühl und Selbstverwirklichung." (aus dem nationalen Curriculum für England) Dem Lehrplan liegen die drei Aktivitäten Komponieren, Aufführen und Zuhören zugrunde, und es ist Aufgabe der Lehrkräfte, in der praktischen Umsetzung alle Schüler mit ihren unterschiedlichen Begabungen einzubeziehen. Die musikalischen Inhalte sollen einerseits die vielfältige kulturelle Landschaft des Vereinten Königreichs widerspiegeln, andererseits soll die traditionelle und klassische Musik gepflegt werden. Lernen sollte im Kontext und fächerübergreifend stattfinden. Von den Schülern wird erwartet, dass sie durch Musizieren eigenständig und in Gruppen lernen, die beim Aufstieg in die Sekundarschule immer mehr an Selbständigkeit gewinnen. Somit ist die Rolle des Lehrers als eine flexible zu verstehen: Dirigent, Ausbildner, Vermittler, Musikerkollege, Kritiker, Verwalter der Ressourcen, Mentor usw. Der englische Lehrplan für Musik stellt die Rahmenbedingungen dar, nach denen beurteilt werden soll, ohne aber spezielle Inhalte zu definieren. Ziel des Lehrplans ist es, den Schülern im Komponieren, bei der Aufführung und in der Einschätzung von Musik Erfahrungen zu vermitteln, die es ihnen ermöglichen musikalische Elemente immer besser, phantasie- und ausdrucksvoller zu erkennen, zu beherrschen und zu beeinflussen. Ein weiteres Ziel ist ein breites und vielfältiges Repertoire (das von traditioneller Musik der Britischen Inseln über westliche klassische Musik, Popularmusik und Jazzmusik bis zur Musik verschiedener Epochen und Kulturen reicht). Das Rahmenprogramm legt eine Weiterentwicklung nahe und rückt durch seine konzeptionelle Sprache die Lerninhalte in den Vordergrund. Es gibt auch „Kriterien für Leistungsstufen”, in denen der jeweils zu erwartende Lernerfolg angeführt wird (in Schritten von etwa 2 aufeinander folgenden Jahren). Wales und NordirlandStruktur und Inhalt der Lehrpläne für Wales und Nordirland decken sich mit dem Englands, Unterschiede bestehen jedoch in inhaltlichen Aspekten und in veränderten Schwerpunkten. SchottlandIn Schottland sind die Richtlinien ausführlicher formuliert, und es werden detaillierte Erklärungen und Bespiele angeführt. Lehrer finden hier auch mehr Anleitung zum Singen und zur Verwendung der traditionellen Notation. Komponieren wird zum „Erfinden“. Musiktechnologie ist in allen Lehrplänen enthalten – besonderes Augenmerk findet sie bei der Altersgruppe der 11-14-jährigen. Die angestrebten Leistungsniveaus mit 14 Jahren: Beispiele aus jedem LehrplanEngland: Die Schüler erkennen und erforschen musikalische Vorrichtungen und wie sich Zeit und Ort in der Musik widerspiegeln. Sie führen maßgebliche Stücke aus dem Gedächtnis und mit Notenvorlagen auf und sind sich ihres eigenen Beitrags bewusst, etwa dass sie andere führen, einen Solopart übernehmen bzw. das Stück rhythmisch begleiten. Sie improvisieren melodische und rhythmische Materialien mit vorgegebenen Strukturen, verwenden eine Vielzahl an Notationsarten und komponieren Musik für verschiedene Gelegenheiten unter Verwendung der geeigneten musikalischen Mittel wie Melodie, Rhythmus, Akkorde und Strukturen. Sie analysieren und vergleichen musikalische Merkmale. Sie untersuchen, welche Auswirkungen der Veranstaltungsort, der Anlass und der Zweck des Musizierens darauf haben, wie Musik erzeugt, aufgeführt und wahrgenommen wird. Sie verfeinern und verbessern ihre Resultate. Schottland: Das Erkennen einfacher Konzepte wie Wiederholung, Sequenz und Muster wird durch das Erforschen und Erfinden von Musik erlernt; es wird gelernt, zwischen akustisch und elektronisch erzeugten Klängen zu unterscheiden; die charakteristischen Eigenheiten verschiedener Musikstile zu erkennen, z.B. Folk, Klassik, Pop und Jazz; wirkungsvolle Instrumentenkombinationen auszuwählen und zu begründen; konstruktive und begründete Kritik an Aufführungen und eigenen Erfindungen abzugeben/anzunehmen. Nordirland: Schüler sind sich stilistischer Züge in ihren Kompositionen und Arrangements bewusst und kennen die geeigneten Methoden, ihre Arbeit für die Nachwelt zu erhalten. Schwierigere Musikstücke werden mit Selbstkontrolle, Genauigkeit und Selbstvertrauen vorgetragen und interpretiert. Sie können selbst vorgetragene und gehörte Musik kritisch bewerten und evaluieren. Wales: Die Schüler können ein breites Repertoire gesanglich und instrumental gewandt vortragen, sie können ihren Part als Teil einer Gruppe umsetzen ... In der Arbeit mit anderen können sie Material mit den geeigneten musikalischen Strukturen entwickeln und organisieren und ihre Kompositionen beurteilen und verfeinern. Sie können zwischen musikalischen Elementen unterscheiden und die Hauptmerkmale einer Vielzahl von Musikrichtungen erkennen. V. Kritischer Kommentar und AusblickDie größte Umwälzung im britischen Schulsystem findet derzeit in England statt, wo beginnend mit September 2008 die Einführung des Nationalen Diploms stattgefunden hat. Bis zum Jahr 2013 wird die Umstellung auf fünfzehn „Lernlinien“ vollzogen sein, die allen Schülern ab einem Alter von 14 zur Verfügung stehen. Der Zeitplan für die Einführung ist im Internet veröffentlicht. Dieses Qualifikationsmodell ist interessant, weil bei der Erstellung zum ersten Mal verschiedene Industrien mit den Körperschaften, die das Diplom verleihen, zusammengearbeitet haben. Eines der ersten Diplome, die verliehen werden, wird das „Kreativ- und Mediendiplom“ sein.
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